Der Wehrwolf: Eine Bauernchronik

Originaltitel:
Der Wehrwolf: Eine Bauernchronik
Autor:
Hermann Löns
Genre:
Kriegsroman
Umfang:
192 Seiten
Release:
1910
Verlag:
Sponholtz

1910 erschien das Buch Der Wehrwolf von Hermann Löns, einem Journalisten und Naturforscher, der 1914 in Frankreich an der Westfront fallen sollte. Obwohl von den Nazis vereinnahmt, ist sein bekanntestes Buch neu verlegt worden, und hat eine begeisterte Fangemeinde junger Leser. Anders als viele Werke der vormodernen, deutschen Literatur ist dieses schnell zu lesen, spannend und vor allem schockierend. Die Geschichte über ein kleines Dorf im Kreuzfeuer des 30-jährigen Krieges zeigt auf brutale Weise, wie Anarchie ausarten kann.

Das Buch ist, worauf der Titel schon hindeutet, eine Chronik. Wie in einem Tagebuch werden die einzelnen Tage in verschiedenen Jahren des Krieges nacheinander aufgelistet. Die Spannung spitzt sich aber zum Ende hin zu. Trotz der untypischen Handlung gelingt es Löns sehr gut, einen straffen Spannungsbogen aufrechtzuerhalten. Das Einzige, woran sich jüngere Leser stören könnten, ist die Sprache der Charaktere. Der norddeutsche Dialekt ist schwierig zu verstehen und sehr bäuerlich gehalten, meiner Meinung nach gewöhnt man sich aber schnell daran, zumal in der Sponholtz-Ausgabe eine kleine Vokabelliste für sehr unbekannte Wörter erstellt wurde.

Im Mittelpunkt steht ein norddeutscher Bauer, der unbeschwert in seinem Dorf lebt, bis 1623 paramilitärische Banden seinen Hof niederbrennen und seine Frau und Kinder ermorden. Ohne Schutz vor mordenden Gruppen aus Weimar, Hannover, Schweden und Dänemark gründet er mit seinen Freunden den Bund der Wehrwölfe. Stets nach dem Motto „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott“ verüben sie Überfälle und greifen hohe Militärs sowohl aus dem Hinterhalt als auch auf dem freien Feld an, verteidigen in erster Linie jedoch ihr Dorf. Akribisch beschreibt Löns die kleine Gruppe, die von einigen unerfahrenen, lebenslustigen Bauern, zu einem Trott abgestumpfter Krieger wird, die im Morden ihr tägliches Handwerk sehen.

Während viele Filme und Bücher vorsichtig den Wunsch nach Selbstbehauptung und Lynchjustiz gegen das Unrecht äußern („Gesetz der Rache“, 2009 und „Ein Mann sieht rot“, 1974 sind zu nennen), zeichnet Löns ein Bild der puren Notwendigkeit; Die Bauern töten nicht, weil man ihre Ehre verletzt hat, sondern weil sie hungern und bedroht werden.
Es werden jegliche Feinde also erschlagen, erschossen und erdolcht – kein Mittel ist den Wehrwölfen zu schade. Immer neue Gruppen aus Deutschland, Schweden und Dänemark kommen an dem Dorf vorbei und möchten die vermeintlich wehrlosen Zivilisten angreifen, mal aus religiösen Gründen, meistens aber aus Beutegier.

Die oft heftigen Schlacht- und Mordszenen tragen zu dem Bild einer unangenehm realistischen Vorstellung von Anarchie, in der jeder machen kann was er will, in der es kein Recht und Unrecht sondern nur das Glück und den eigenen Überlebenswillen gibt. Das Buch wird da realistisch, wo andere Filme und Bücher sich nicht mehr hinwagen. Die Charaktere handeln notgedrungen – gut und böse gibt es hier nicht.
So hängen die Bauern Leichen von ermordeten Angreifern an örtliche Bäume, umkreisen große Trupps und vernichten diese im Sperrfeuer, locken hohe Generäle in die Kneipe und erschlagen sie rücklings. Der Rücksichtslosigkeit zum trotz kann man die Bauern verstehen – eine friedliche Lösung wird ihnen in dieser Kriegshölle nicht geboten.

Dass zum Ende des 2. Weltkrieges viele Nationalsozialisten das Buch als eine Anleitung zum Widerstand gesehen wurde, ist bedauerlich. Man kann nur froh darüber sein, dass kaum jemand die Anweisung zum Widerstand bis aufs Blut ernst genommen hat. Löns selbst kann für diese Vereinnahmung auch nichts, weder war er ein Nazisympathisant, noch hat er einen Hass schüren wollen; Im Gegensatz zu den Alliierten, die Deutschland den Frieden anboten, schreibt er über Verbrecher, die eben das niemals getan hätten, darin liegt der Unterschied. Ein Aufruf zur Selbstjustiz ist dieses Buch nicht, viel eher zeigt es den Schrecken, den dieser freie Kampf mit sich bringt.
Der Wehrwolf ist daher in eine Reihe zu stellen mit anderen Werken, die man damals für eigene Zwecke umdeutete; Goethes „Faust“, Jüngers „In Stahlgewittern“ oder „Wilhelm Tell“ von Schiller sind nur einige von vielen.

Der Wehrwolf ist nicht nur schockierend und blutig, sondern auch eine unangenehme Vision davon, was in einer Welt ohne Polizei und Rechtssystem geschehen würde und im 30-jährigen Krieg sicher auch geschehen ist. Nicht das Recht des Stärkeren gilt, sondern das Recht des Ruchlosesten. Um ihn zu begegnen, muss man sich verteidigen. Wer einen wirklich realistischen und brutalen Roman lesen möchte, der ohne gängige Horrorklischees auskommt aber dennoch sehr atmosphärisch ist, sollte sich dieses Buch zulegen! Die oben erwähnte Sprache der Charaktere muss man in Kauf nehmen, aber der Dialekt ist immer noch verständlich und macht das Werk nur noch authentischer.