Dracula

Originaltitel:
Dracula
Autor:
Bram Stoker
Genre:
Horror
Umfang:
500 Seiten
Release:
1897; 01.10.2008 (Anaconda Verlag)
Verlag:
Anaconda Verlag

In der (Horror-)Filmwelt vergeht kein Jahr, in dem nicht unzählige Vampirflicks erscheinen, auch aus der Buchwelt sind sie kaum noch wegzudenken. Die Mythen, die sich um Vampire ringen, sind schon auf das 17. Jahrhundert zurückzuführen. Die ersten Kunstwerke, die die blutsaugenden Wesen behandeln, entstanden im 19. Jahrhundert. Zu nennen wäre „The Vampyre“ (1819) von John Polidoris und „Carmilla“ (1872) von Joseph Sheridan LeFanu. Das erste wirklich prägende Werk jedoch war Dracula von Bram Stoker, das 1897 erschienen ist. Auch nach 117 Jahren ist der Roman noch sehr lesenswert, wenngleich er sich von aktuellen Vampirmedien sehr unterscheidet und Ängste behandelt, die in der modernen Welt eine immer kleinere Rolle spielen.

Der junge Anwalt Harker fährt nach Transsylvanien und trifft dort den Grafen Dracula. Dieser kauft sich mehrere Anwesen in London, um nach Jahren endlich wieder am zivilisierten Leben teilhaben zu können. Harker wird gegen seinen Willen im Schloss festgehalten und der Graf setzt alleine nach England über, mit dem Ziel, Harkers Verlobte Mina für sich zu gewinnen. Harker, der es schafft, zu entkommen, stellt sich mit einigen Freunden gegen den bösen Grafen um ihn ein für alle Mal zu töten.

Der Roman ist eine Mischung aus diversen Genres. Reise-, Abenteuer-, Liebes-, und natürlich Schauerpassagen wechseln sich häufig ab. Die Handlung entwickelt sich anhand mehrerer Tagebucheinträge und anderen Aufzeichnungen wie Zeitungsartikeln. Die meisten dieser Abschnitte sind von den Charakteren selbst verfasst worden, sodass man als Leser immer eine Bezugsperson hat. Die Charaktere wechseln sich zwar häufig ab und verschwinden einige Male für mehrere Seiten, um dann wieder aufzutauchen. Dennoch werden sie alle mehr als ausreichend beschrieben und tragen mit ihren persönlichen Eigenschaften nicht nur einen großen Teil zur Handlung, sondern auch zur Aussage des Romans bei.

Die Anschläge des großen Vampirs sind meist gegen Frauen gerichtet. Diese sterben, nachdem er ihnen das Blut ausgesaugt hat, um dann wieder aufzuerstehen und ebenso zu blutsaugenden Monstern zu werden. Durch Harkers alten Freund und Professoren Dr. Van Helsing erfährt die Gruppe, wie man den Vampir zur Strecke bringen muss. Eine Hetzjagd mit vielen Toten durch England und Transsylvanien beginnt.

Der Akt des Blutsaugens kann heute als rein sexueller Akt gesehen werden. Die Angst der braven Protagonisten, die sich manchmal ein wenig zu liebevoll um Harkers Frau kümmern, geht von dem somnanbulen, osteuropäischen und arbeitsfremden Grafen aus. Seinem Charme kann sich keine Frau entziehen, der ehebrecherische Sex ist zum Splatter karikiert worden – wohl aus dem Grund, dass man im viktorianischen Zeitalter sexuelle Ängste nicht offen beschriben durfte.
Auch die Darstellung Draculas nach Stokers Arbeitskollegen Henry Irving und die Benennung Abraham Van Helsing nach Abraham/Bram Stoker selbst wirft Fragen auf; wurden hier Ansätze einer homoerotische Beziehung beschrieben, die in der Realität nicht gelebt werden durfte?

Wie dem auch sei, das Buch ist in seinen vielen Passagen immer unterschiedlich auszulegen, immer unterhaltsam und oft gruselig. Vor allem die Kapitel, in denen Minas Freundin Lucy etappenweise umgebracht wird, fesseln.
Hinzu kommen noch viele Elemente, die man anhand heutiger Vampirmedien gar nicht vermittelt bekommt. Dracula kann Wölfe befehligen, telepathisch mit anderen Menschen kommunizieren und vollführt zum Liebes- und Machtbeweis Bluthochzeiten.

So ist der Roman nicht nur qualitativ hochwertig, sondern auch ein unterschiedlich interpretierbares Werk mit vielen spannenden und originellen Details. So wurde nicht nur das ganze Buch als Vorlage für viele Literatur- und Filmnachahmungen genutzt. Schon ein ganzes Kapitel bildet die Grundlage für, „The Plague of the Zombies“, einem der besten Hammer Horror Filme. Hinsichtlich der Vielfalt und dem literarischen Wert Draculas kann man das Buch empfehlen. Ein Großteil der modernen Horrormedien speisen sich von diesem Roman, schon daher ist er als Standartwerk anzusehen.

Junge Horrorfans dürften jedoch von stilistischen Ungereimtheiten und stark in die Länge gezogenen Passagen abgeschreckt werden. Von den 500 Seiten tragen, gelinde gesagt, nicht alle zur Entwicklung der Hauptgeschichte bei. Auch im Vergleich zeitgenössische Werke wie „Der Sandmann“ (1816, E.T.A. Hoffmann) oder „Das Bildnis des Dorian Gray“ (1890, Oscar Wilde) sind deutlich kurzweiliger als dieses Buch.
Zudem sind die Sexualtabus, die hier behandelt werden, nicht mehr in unserer Gesellschaft gegeben. Der Horror funktioniert zwar immer noch, aber an einigen Stellen fragt am sich als Leser doch, wieso der Autor damals Sex und Sünde so nah beieinander stellte.

Im Endeffekt ein unerreichter Klassiker, den man als geduldiger Horrorfan unbedingt lesen sollte. Wem der Umfang und die überzogenen Passagen zu viel sind, sollte wenigstens ein paar der guten und stoffnahen Filme gucken (z.B. „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens“, 1922 oder „Bram Stoker´s Dracula“, 1992).